Monday 22 November 2010

Venezuela auf Deutsch. Stand der Dinge: November 2010





Whisky oder Wodka immer noch preisgünstiger als Bücher und leichter zu finden als Milch













Im Flughafen: VIT, hecho en socialismo. Angeblich werden Computer in Venezuela zum ersten Mal hergestellt. In Wirklichkeit werden sie wie seit Jahrzehnten zusammengebastelt. Die Chinesen und Boliburgueses kriegen aber dazu Finanzhilfe. Von nachhaltiger Entwicklung kann nicht die Rede sein










Ich habe diesen Blog angefangen, weil ich meinen Freunden in Europa erklären wollte, was in Venezuela passiert und ich die dazugehörenden Hintergrundinformationen nicht immer wieder wiederholen wollte. Meine Freunde wohnen ja ein bisschen überall.

Es ist nicht so einfach. In den europäischen Medien kriegt man nicht viel über Venezuela zu lesen oder zu sehen. Also muss ich vieles extra erklären. Es ist nicht "Hacienda-Besitzer gegen Indianer". Es ist nicht "Kuba auf dem Festland". Es handelt sich gar nicht um eine Revolution, wie man sie in Mexiko Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts erlebt hat. Südamerika ist doppelt so gross wie Europa. Es gibt vieles, was wir Lateinamerikaner gemeinsam haben. Die Entwicklungen unserer Länder und die Ressourcen oder gesellschaftliche Gegebenheiten varieren aber stark voneinander.

Venezuela heisst Erdöl und Erdöl - das weiss Otto Normalverbraucher kaum- ist nicht gleich Erdöl. Ganz vereinfacht gesagt: Erdöl im Jahre 1998 hiess 12 Dollar pro Fass. Erdöl im Jahre 2010 heisst über $80 pro Barrel. Venezuela heisst Präsidentialsystem in einem Land mit vielen mittelalterlichen Charakterzügen. So etwas wie "Präsidentialsystem" mit diesen Merkmalen hat sehr grosse Folgen für ein Land. Venezuela heisst Westen mit Uramerika mit Afrika mit dem ganzen Rest. Meine Familie ist wie ein Benetton-Foto, wie fast alle Familien Venezuelas. Venezuela heisst, mehr über Ungarn oder über die Mongolei oder über Deutschland in einer Lokalzeitung wie El Carabobeño lesen zu können als in der Washington Post, in The Guardian, ja in der FAZ oder in der SDZ. Venezuela ist aber auch ein Land, wo Bücher Mangelware sind und wo die sozialistischen Bonzen ihre Kinder nicht zu einer öffentlichen Schule schicken würden, denn das Niveau in den öffentlichen Schulen ist sehr aber auch sehr schlecht. Ich weiss das. Ich habe in einer öffentlichen Schule in einem armen Dorf gelernt und das war zu Zeiten, als die Lehrer mehr verdienten als jetzt.

Venezuela heisst Grosszügigkeit und Zivilkourage neben Korruption und Mangel an Verantwortungsgefühl für die eigene Gesellschaft. Venezuela heisst vor allem Varianz und Überraschung.

Venezuela ist ein armes Land, das sich für reich hält, nur weil es jede Menge Erdöl und eine sehr vielfältige Natur hat. Ohne gute Bildung für den Durschnittsmenschen verwandeln sich dieses Erdöl und diese Natur aber immer wieder in El Dorado. Venezuela heisst Humor, sich über alles aber auch alles lustig zu machen. Das ist unser Potential, aber auch eins unserer grössten Probleme.







Willkommen im Bundesstaat Mérida...nun sozialistisch









Was passiert nun, was steht dann vor?

  • Der Militärführer, den wir als Präsidenten haben, hat nun wieder die "Justiz" unter Druck gesetzt, damit sie gegen Globovision, den letzten regimekritischen Fernsehsender, was tut. Der Grund ist nicht, dass Globovision - eine Art "Fox News", die eher als Potenkinsches Dorf anzusehen ist - kritischer geworden wäre. Der Grund ist halt, dass einer der Besitzer , in den USA geflüchtet, Chávez nun als Diktator bezeichnet. Chávez bezeichnet sich selbst aber als Soldat. Da hat er recht: er ist ein Soldat...und Autokrat. Diktator ist er noch nicht. So wie Putin es auch nicht ist. Oder Lukaschenko. Als die Leute von Human Rights Watch einen negativen Bericht über Pressefreiheit in Venezuela verfassten, wurden sie des Landes sofort ausgewiesen, denn dieser Bericht war Chávez zufolge Lug und Trug, in Venezuela gibt es absolute Pressefreiheit, zu viel Pressefreiheit sogar.
  • In 6 Wochen (5.1.2011) werden 65 + 2 Abgeordneten der alternativen Kräfte ihre Arbeit bei der Asamblea Nacional starten. Ein paar tausend seit Jahren archivierte Dossiers zu Korruptionsfälle bei der Regierung warten auf sie... oder auch nicht: manche Leute befürchteten, die jetzigen Regierungsabgeordneten könnten diese Dossiers irgendwann zu Weihnachtszeit verschwinden lassen.
  • Es gibt eine viel stärkere Gerhinwäsche-Kampagne als je zuvor. 1984 lässt grüssen. Das Adjektiv "sozialistisch" wird zu jedem Substantiv mit einer positiven Konnotation zusammengefügt. Überall im Land kommen neue Plakatten, damit die Leute denken, dass die Militärjunta sozialistisch ist und dieser Sozialismus gut ist. Die Regierung hat auch sehr attraktive Journalistinnen bei VTV und anderen Staatssendern angeheuert. Sie weiss, wie die meisten Venezolaner das zu schätzen wissen. Die Regierung präsentiert nun immer mehr Zahlen, die angeblich unseren Fortschritt zeigen sollen. Chávez sagt, die Zahl der Ermordeten wäre um 40% gesunken. Er sagt aber nicht wann und wo. Hauptsache, es ist gut. Er sagt auch nicht, dass die Mordrate in Venezuela 1998 19 x 100000 Einwohner betrug und sie nun auf 70 Morde pro 100000 geklettert ist. Der Finanzminister interpretiert eine Rezesion in Venezuela als Beweis für den Erfolg des Chavismus und die Ruine des Kapitalismus.
  • Viel mehr Geld wird umgeleitet: die Militärjunta will die Finanzierung der regimekritischen Lokalregierungen weiter abdrosseln. Über 10 Milliarden Bsf werden umgeleitet und vor allem an regimetreue Lokalregierungen gegeben. Damit will die Militärjunta ihre Chancen für die Bundestaats- und Gemeindewahlen von 2012 "optimieren". Diese Wahlen werden mit der Präsidentenwahl zusammenfallen.
  • Es kommen weitere Enteignungen.
  • Leider verhalten sich viele Politiker der alternativen Kräfte wie Feudalherren, oder wie Möchte-gern-Feudalherren, die nur lokal denken und nicht mit anderen Parteien zusammenarbeiten wollen. Jeder hält sich für den neuen Bolívar. Es gibt einige gute Ausnahmen und das gibt ein bisschen Hoffnung.






Irgendwie erinnert mich dies an Sowjetzeiten. Der Traktor soll dank "iranischer Technologie" produziert werden. In Wirklichkeit ist diese iranische Traktorfirma ein richtiger Misserfolg. Mehr "Technologietransfer" hatte Venezuela selbst zu Zeiten, als die Gringo-Montagefirmen Glühbirnen, Schrauben und Drähten von Lokalfirmen kauften.





Mein Dank geht an Dan für die Bilder oben.



Schliesslich ein Bild aus La Patilla. Hier wirft ein venezolanischer Ordnungshüter einen Sitz gegen einen Mann zu. Damit will er gegen Unruhen am Ende eines Spiels vorgehen.

2 comments:

  1. Danke fuer den Super Beitrag, ich werde den gleich mal bei politik.de zur Verfuegung stellen.

    VG Joerg

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  2. Ich danke Dir für den Besuch und den Link.

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