Saturday 26 January 2013

Brief an Spiegel


Sehr geehrte Damen und Herren vom Spiegel


Hier schreiben Sie folgendes: 



"Vermutlich hatten Insassen die Sicherheitskräfte daran hindern wollen, in bestimmte Teile des Gefängnisses vorzudringen."


Das ist nicht vermutlich. Das ist die Norm. Die Daten, die Sie haben, sind meistens sehr gut. Einige Sachen müssen aber vielleicht besser erklärt werden. 

Viele dieser Gefängnisse werden einfach von Gefangenen selbst regiert, Waffen inklusive. Da kommt ein Polizist praktisch nie rein. Brasilianische Gefängnisse sind Mist. Die von uns sind jetzt Mist hoch zwei. Die Guardias nacionales bewachen die äusseren Mauer und einige sehr beschränkten Areale. Sonst verkaufen viele unter ihnen die Drogen, die Waffen, die Fernsehseher, die Handys und vieles mehr an die Gefangenen, die das nötige Kapital dafür haben. Und sie sagen wann die Prostituierten oder Frauen der Gefangene da übernachten können. Frauen übernachten da in Gebieten, wo nur die Gefangenen anwesend sind. Darum kam es manchmal zu Morden (sehen Sie, zB, hier und hier).


Die meisten Gebiete eines venezolanischen Gefängnissen werden seit etwa 2003-2004 den Gefangenen völlig überlassen. Das war mehr oder weniger die Zeit, als die Sicherheitsagenten die Kontrolle einfach verloren...fast überall. Und es hat sich für die korruptesten unter ihnen gut gezeigt, denn sie haben ein besseres Geschäftsmodell  entwickelt: es gibt eine stärkere Nachfrage nach Waffen und anderen Bedürfnissen des venezolanischen Gefängnisslebens.

Die einfachen Insassen müssen meistens an die Pranes, an die Schurkenführer, zahlen, um nicht umgebracht und nicht vergewaltigt zu werden, um überhaupt Essen zu haben.

Hier können Sie die Ministerin Iris Varela - aka Streichhölzchen - bewundern, wie sie in einem Besuch zu einem Gefängnis im Bett zusammen mit einem der berüchtigten Pranes sitzt. Das ist kein Photoshop. Sie können die Ministerin fragen. Eigentlich empfehle ich Ihnen von ganzem Herzen, die Tweets der Ministerin zu lesen. Dafür müssen Sie aber richtig gut Gefängnisjargon  verstehen.  Meine Grosseltern, arme Analphabeten, sprachen etwas anderes, als was die Frau Ministerin spricht.

Die Panzer, die Sie in Ihrem Artikel nennen, waren eigentlich der Grund, warum die Medien erfahren haben, dass etwas "seltsames" im Gefängnis passiert. Es war endlich die Vorbereitung für eine Entwaffnungsprozedur, so wie die Militärs Venezuelas das kennen. 

Stellen Sie sich vor, die Einwohner Tegels in Berlin würden plötzlich Dutzende Panzer um die Justizvollzugsanstalt Tegel sehen. Stellen Sie sich vor, diese Menschen rufen die Medien an. Nun kommen die Journalisten und berichten darüber. Dann stürmen deutsche Polizisten das Gebäude ein, um endlich Kontrolle zu bekommen, denn das hatten sie fast nie. Es kommt zu einem Massaker. Stellen Sie sich nun vor, Hans-Peter Friedrich oder eine neue Ministerin der Volksmacht für die Vollzugsanstalten erklärt bei einem öffentlichen Sender, die privaten Medien - Spiegel oder die Welt, Focus oder Bild - wären für das Massaker verantwortlich. Ist das nicht bescheuert? Schon. Bei uns sollte es auch so sein. Es war mal so.

Vielen Dank für Ihre Berichterstattung.




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